Wir sind kurz davor, unsere Regel No. 1 für Mexiko zu brechen: Nicht-nachts-fahren!
Inzwischen steht die Sonne schon ziemlich tief. Feuerrot und riesig strahlt sie uns an. Selten haben wir eine so große Sonne am Himmel gesehen.
Das Naturschauspiel lenkt uns kurz davon ab, dass wir jetzt schnell einen Platz für die Nacht finden müssen. Unsere Gespräche werden einsilbiger. Wir sind angespannt.
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Selbst die Mexikaner fahren ungern bei Nacht. Es ist schlichtweg gefährlich. Aber eher weniger, weil man überfallen werden könnte. Sondern vielmehr, weil man bei Dunkelheit die fiesen „Topes“ (Bodenschwellen) und Menschen am Straßenrand nicht sieht.
Außerdem laufen in ländlichen Gebieten viele Kühe frei umher und legen sich nachts gerne auf den warmen Asphalt. Jeder kann sich vorstellen, was ein Zusammenstoß mit dem Tier und dem Fahrzeug anrichten würde.
Unser rechter Scheinwerfer hat auch wieder seinen Geist aufgegeben. Wir fahren mit einem „Auge“ durch die Abenddämmerung.
Die Yucatán-Halbinsel haben wir hinter uns gelassen. „Tabasco“ stand vor einigen Kilometern auf dem großen Straßenschild weit über der Fahrbahn. Wir fahren nun von Osten bis ganz in den Westen des Landes. Einmal quer durch Mexiko.
Finden wir noch einen Platz für die Nacht?
Es wird immer dunkler und nur noch eine Übernachtungsmöglichkeit ist auf der App iOverlander eingetragen. Die App wird von Reisenden für Reisende gepflegt. Jeder kann dort Übernachtungsplätze, Werkstätten, Wasserstellen und vieles mehr eintragen und kommentieren.
Der angedachte „Übernachtungsplatz“ für heute hat nur einen Kommentar aus dem vergangenen Jahr. Das ist nicht optimal. Wir wissen nicht, ob es diesen Stellplatz überhaupt noch gibt.
Naja, keine Wahl. Es gibt keinen anderen Platz in Reichweite. Wird schon gut gehen! Unser Google Navigation sagt, es wären noch 30 Minuten bis dorthin. In 45 Minuten ist es stockfinster.
Die Straße führt uns durch kleine Dörfer. Solche Strecken sind eigentlich spannend, weil es so viel zu sehen gibt. Dörfer bedeuten allerdings auch immer viele „Topes“ und wir kommen nur langsam voran.
Nach 40 Minuten sagt unsere Google-Frau so monoton wie immer: „Ihr Ziel befindet sich auf der linken Seite“. Müsste sie nicht voller Euphorie rufen: „Juhu, ihr habt es geschafft, – ihr habt euer Ziel erreicht und keine Kuh überfahren – gut gemacht!“
Vielleicht ist unsere Google-Stimme aber genauso unsicher wie wir. Wo und was genau ist eigentlich unser Ziel? In der App ist der Stellplatz als eine Art „Hotel“ eingetragen, bei dem man wohl im Hinterhof campen kann für die Nacht. Wir suchen auf der linken Seite und sind uns ziemlich unschlüssig, wohin wir uns da selbst gelotst haben.
Beschlossene Sache – hier bleiben wir
Vor einem halb fertigen Gebäude ohne jegliche Beschriftung halten wir an. Ob das nun dieses „Hotel“ sein soll? Egal, wir werden einfach fragen, ob wir hier übernachten können. Solche Fahrtage mit offenem Ausgang sind anstrengend. Und wir sind hundemüde.
Anna macht sich auf die Suche nach irgendeiner Person, die uns ein „OK“ zum Parken geben könnte. Natürlich weiß vermutlich schon das ganze Dorf, dass da irgendein fremdes Fahrzeug suchend durch ihr Dorf rollt. Kaum ist Anna aus dem Auto gestiegen, kommen schon ein Mann und eine Frau auf sie zu.
Sie sind sichtlich überrascht und sehr erfreut, uns kennenzulernen: „Alemania?? Wooow! Bienvenidas!“ sind ihre ersten Worte. Natürlich können wir hier eine Nacht stehen, gar kein Problem! Tatsächlich beitreiben die beiden das gesuchte Hotel.
Unsere Gastgeber erklären uns, dass das quasi ein „Hotel mit Parkplatz für Overlander“ ist. Das Hotel befindet sich allerdings noch sehr im Rohbau. Trotzdem bieten uns die beiden ein Zimmer an. Wir lehnen dankend ab und erklären, dass wir unser „Zimmer“ ja selbst dabeihaben. Aber ihren Parkplatz würden wir sehr gerne annehmen.
Der „Parkplatz“ hinter dem Hotel ist voll mit Krempel und alten rostigen Autos. Vanlife ist leider nicht immer so romantisch, wie es manchmal wirkt. Aber der Ort ist sicher, das ist die Hauptsache für diese Nacht.
Fühlt euch ganz wie zuhause – wie nett!
Die Nachricht, dass sich zwei Frauen aus Deutschland hier eingefunden haben, hat sich wohl wirklich schon herumgesprochen. Anna wird ein Handy ans Ohr gedrückt. Am anderen Ende eine Englisch sprechende Person. Wir haben nie erfahren, wer das eigentlich ist. Aber es ist auf jeden Fall jemand, der möchte, dass wir uns hier ganz wie zu Hause fühlen. Wie wir diesen Ort gefunden hätten? Und ob wir noch irgendetwas brauchen, werden wir mehrmals gefragt. Nein, danke, wir sind sehr froh, hier sein zu dürfen. Muchas gracias!
Und wieder ist es erstaunlich: Wir werden als Fremde wie Freunde aufgenommen. Später sogar noch zum Essen eingeladen. Und all das, obwohl die Familie, die hier lebt, vermutlich selbst nicht so viel hat.
Inzwischen ist es stockdunkel. Berta schaukelt in der windigen Nacht. Mitten in der Nacht werden wir vom Prasseln des Regens geweckt. Es gießt. Es regnet, als ständen wir direkt unter einem Wasserfall.
Ein Tropensturm zieht auf
Der Regen entwickelt sich zum Sturm. Anne schaut aus dem Fenster und sieht, dass sich die Palmen inzwischen gefährlich über unser Auto biegen.
Nicht gut.
Palme= Kokosnuss = Runterfallen = Autodach = Schlecht.
Anne krabbelt aus dem Bett und parkt uns weiter nach vorne. Eine halbe Stunde später parkt uns Anne noch mal weiter von den Palmen weg. Der Sturm macht keine Anstalten aufzuhören.
Plötzlich macht es KRAAAAWUUM! Wir stehen senkrecht im Bett. Was war das?
Wir schieben den Vorhang zur Seite und sehen es: Ein Palmenwedel ist auf unser Dach geknallt und hängt noch an unserem Außenspiegel. Wir parken ein drittes Mal um und schlafen noch die letzten zwei Stunden, bevor es hell wird.
Der nächste Morgen – böses Erwachen oder alles gut gegangen?
Am nächsten Morgen begutachten wir den Übeltäter. Das Palmwedel ist riesig und schwerer, als man denkt.
Wir wollen checken, ob an unser Dach beschädigt ist. Eine Leiter muss her.
Unsere Gastgeber sind auch schon wach und verstehen sofort, was wir brauchen: „Tiene una escalera?“ „Si, por favor!“
Randnotiz: Anna wollte unbedingt eine Leiter mit auf die Reise nehmen. Aus Platzgründen haben wir es nicht gemacht. Inzwischen zeigt sich: Irgendwo findet sich immer eine Leiter. Dies ist in Mexiko mittlerweile die vierte Leiter, die wir uns ausleihen dürfen.
Anne klettert die verrosteten Sprossen hoch. Ok, diese Leiter hat auch schon bessere Tage gesehen.
„Sieht gut aus“, ruft Anne aus 3-m-Höhe. Wir hatten Glück. Anscheinend ist nichts beschädigt worden. Wir sind mit einer eher unruhigen Nacht davongekommen.
Der Sohn des Gastgebers fragt etwas schüchtern, ob er ein Foto mit uns machen kann. Na klar! Wir posieren kurz für ein paar Selfies und lassen ein paar Sticker von uns da. Ob er uns auch auf Instagram folgen darf? Natürlich sehr gerne!
Wir bedanken uns bei der ganzen Familie für ihre Gastfreundschaft. Und als wir eigentlich schon mit einem Reifen aus dem Hof gefahren sind, fragt unsere Gastgeberin noch: Wohin fahrt ihr denn jetzt weiter?
Nach San Cristobal de las Casas in Chiapas.
Ahh, sagt unsere Gastgeberin etwas nachdenklich. Sie bittet uns, nicht die Straße 199 zu nehmen. Diese Route sei gefährlich, weil es dort in letzter Zeit häufig zu Überfällen, Straßenblockaden und Entführungen gekommen ist. Das hatten wir auch schon von einigen anderen Reisenden gehört. Wir haben unsere Route daher über Villahermosa geplant und versichern ihr, die 199 nicht zu fahren.
Nette Begegnungen – schöne Reiseerinnerungen
Es sind nicht immer nur die schönen Plätze, an die man sich gerne erinnert. Manchmal sind es auch einfache Parkplätze mit herzlichen Menschen, die einem in guter Erinnerung bleiben.